- tibetische Literatur.
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Die tibetische Literatur wird mit der Schaffung der tibetanischen Schrift im 7. Jahrhundert nachweisbar. Zu den frühesten Zeugnissen gehören grammatische Texte, Zaubersprüche der einheimischen Bon-Religion, Inschriften, die Annalen von Dunhuang (über den Zeitraum von 650 bis 747) und Übersetzungen. Nach Einführung des Buddhismus (Lamaismus) wurden zahlreiche buddhistische Texte aus dem Sanskrit (daneben u. a. auch aus dem Chinesischen) ins Tibetische übersetzt, die, im 14. Jahrhundert im Kandschur (»Übersetzung des [Buddha-]Wortes«) und im Tandschur (»Übersetzung der Lehrschriften«) zusammengestellt (Tandschur und Kandschur), den Kanon der tibetischen buddhistischen Schriften bilden; nach diesem Vorbild schuf sich die systematisierte Bon-Religion einen eigenen Kanon, während die zahlreichen Schulen des Lamaismus ihre eigenen scholastischen und exegetischen Schriften hervorbrachten. Die Schule der Kagyüpa kannte besondere Initiationsprüfungen, die u. a. von Naropa (* 1016, ✝ 1100) und dem bedeutenden tibetanischen Dichter Milarepa beschrieben wurden. Dieser gilt auch als Verfasser der durch ihre Naturlyrik berühmten »Hunderttausend Gesänge« (mGur-'bum). Bei den Nyingmapa (»Anhänger der Alten [Tantras]«) wurden viele Schriften dem im 8. Jahrhundert aus Indien nach Tibet gekommenen Tantriker Padmasambhava zugeschrieben, u. a. auch das »Tibet. Totenbuch« (Bar-do Thos-grol), das die Befreiung aus dem bis zu 49 Tage währenden Zwischenzustand (Bar-do) nach dem Tod ermöglicht. Der Begründer der Gelugpa (der »Gelbmützen« oder »gelben Kirche«), Tsongkhapa (* 1357, ✝ 1419), verfasste zahlreiche reformatorische Schriften (u. a. über Ordenszucht). Von den Dalai-Lamas schrieb der »große 5.« Dalai-Lama, Lobsang Gyatso (* 1617, ✝ 1682), u. a. eine Chronik und (wie der heutige 14. Dalai-Lama, Tenzin Gyatso, * 1935) eine Autobiographie. Buddhistische Chroniken verfassten ferner u. a. Buston (14. Jahrhundert), Taranatha (um 1600) und Sumpamkhanpo (18. Jahrhundert). Viele Traktate behandeln Themen aus Medizin, Astronomie, Chronologie, Mathematik, Geographie, Grammatik, Lexikographie u. a. Wissenschaften. Klosterschätze wurden in Katalogen (dKar-chag) erfasst. In der schönen Literatur sind indisch-buddhistische Sujets häufig, z. B. im Schauspiel, das sich aus Maskentänzen (Tscham-Tänzen) entwickelte. Zur Volksliteratur gehört u. a. das Geser-Khan-Epos.Die kommunistische Indoktrination durch die Chinesen seit 1959 und die chinesische Kulturrevolution setzten dem literarischen Schaffen der lamaistischen Schulen und der Bon-Religion ein Ende. Mit den tibetanischen Flüchtlingen gelangten jedoch umfangreiche Textsammlungen in den Westen, deren Erschließung neue Perspektiven für den Zugang zur tibetischen Literatur verspricht.Anthologien:Volkslit. tibet. Nomaden. Lieder u. Erzählungen, hg. v. M. Causemann (1993);G. Tucci: Tibetan painted scrolls, 2 Bde. (a. d. Ital., Rom 1949);R. A. Stein: Recherches sur l'épopée et le barde au Tibet (Paris 1959);Verz. der oriental. Hss. in Dtl., Bd. 11: Tibet. Hss. u. Blockdrucke, auf zahlr. Tle. ber. (1966 ff.);V. S. Dylykova: Tibeckaja literatura (Moskau 1986);H. Hoffmann: Tibet. A handbook (Bloomington, Ind., 21986);P. K. Sørensen: A provisional list of tibetological research papers and articles published in the People's Republic of China and Tibet (Stuttgart 1991);Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:Tibet: Geschichte und religiöse Traditionen
Universal-Lexikon. 2012.